Text - Archiv

Zum Geburtstag

Lieber Rocque,

leider können wir Dir unsere Glückwünsche heute nicht mehr persönlich überbringen.

In unseren Herzen lebst du weiter – und genau dort stoßen wir heute auf Dich an. Dein Leben war ein Feuerwerk an Ideen, Kreativität und Genialität, wenn auch manchmal chaotisch anmutend und jede/n von uns "heraus"fordernd. Je mehr wir uns mit Deinem Werk befassen, desto mehr steigt unsere Begeisterung und Hochachtung vor Deiner enormen Leistung, die Du seit Deiner Ankunft in Deutschland 1963 vollbracht hast. Wir wandeln auf der Brücke, die Du zwischen östlicher Tradition und westlicher Wissenschaft geschlagen hast und gehen diesen Weg in Deinem Geiste weiter. Du siehst - Du lebst. Also feiern wir heute zum einen in stillem Gedenken und zum anderen in bunter Freude – und in Dankbarkeit & Verbundenheit. "Hoch sollst du leben!"


Das Corona - Klima - Kriegs - Syndrom

Auf die Gefahr der Wiederholung hin: Ahimsa (Gewaltfreiheit), Satya (Aufrichtigkeit), Asteya (Nicht-Stehlen), Aparigraha (Bemühen um Nicht-Gier) sind zentrale ethische Leitplanken des Yoga-Übens - ca. 2500 Jahre alt (s. Lehrsatz 30, Buch 2 der sog. Patanjali-Sutren).

 

Bei einer systemischen Erkrankung kann man häufig genug nur Symptome bekämpfen. Bei "Corona" werden letztlich nur Symptome behandelt. Bei Klima- & Umweltkatastrophen (Ahrtal, Buschbrände, Gletscher- & Polschmelze u.a.m.) werden immer noch in der Hauptsache Symptome behandelt. Beim Krieg in der Ukraine kam es jetzt zu einem massiven Krankheits- = Gewaltausbruch, der nunmehr als Akutintervention mit allen möglichen Waffen und der Freisetzung enormer Flüchtlingsströme ausgetragen wird, nachdem sich die Krankheit, der Krieg, wie in einer Art Prodromalstadium schon lange angebahnt hat. Als gemeinsame Quelle dieser Symptombildungen kann sehr wohl eine Art Geistesstörung ausgemacht werden, die letztlich nicht einseitig verteilt ist, auch wenn sie aktuell in Gestalt eines Autokraten besonders deutlich in Erscheinung tritt: die Neigung zur notorischen Gewaltanwendung, die Neigung zum notorischen Tarnen, Täuschen und Lügen sowie die Neigung zur notorischen Gier.

 

Auf der Ebene der Akutbehandlungung von Corona  empfehlen wir weiter das Impfen und das Einhalten der AHAL-Regeln. Auf der Ebene der Klimakatastrophen empfehlen wir weiter die Verbesserung des eigenen ökologischen Fußabdrucks (derzeit braucht der Lebensstil eines/r deutschen Mitteleuropäers/in den Lebensstil von z.B. ca. 10 Duchschnitts-InderInnen, damit Planet Erde ökologisch nicht überbelastet wird). Und wir plädieren für Gewalt reduzierende Konfliktlösungen, auch bei Formen psychischer und sozialer Gewalt - angefangen im privaten Bereich bis hin zum globalen Maßstab - begleitet von Maßnahmen, die im Falle eines Falles das Wirken eines "Amokläufers" kreativ und unerschrocken schwächen bzw. neutralisieren und den Betroffenen wirkungsvoll Schutz bieten.

 

Für eine lebensfreundliche und lebensfähige Zukunft legen wir daher dringend nahe: eine präventive & gesundheitsfördernde Gesundheitspolitik; eine präventive & umweltfreundliche Klimapolitik; eine präventive, Gewalt reduzierende Sicherheitspolitik, zu deren Element auch gesamtgesellschaftlich das Training in gewaltfreiem Widerstand gehören möge. Aus Liebe zum Leben.
Yoga`s citta vrtti nirodhah - "Yoga ist das langsame Anhalten der Bewegung des Phänomens" (R. Lobo)

Michael Röslen (BUGY Beiratsmitglied)


Gedanken zum Osterfest 2020 unter dem Schatten des Virus

Da ich nun seit nunmehr 3 Wochen nicht mehr meiner gewohnten Arbeit nachgehe, ist das Osterfest nicht die willkommene Zäsur im Arbeitsrhythmus die das Frühjahr so schön gestaltet. Diesmal gehen die Tage in meinem Gefühl von Dauersonntag unter. So viel zeit zu haben und gleichzeitig in der Aktivität massiv beschränkt zu sein, fühlt sich für mich wie ein Nothalt auf offener Strecke an. Dieses Osterfest will anders begangen werden. Hier an meinem Wohnort ist es wie jeden Tag sonntäglich ruhig. Die Kinder spielen ausgelassen auf den Grünflächen. Wo kommen plötzlich all die Kinder her, die draußen ihren Lebensraum entdecken? Familien radeln und flanieren an unserem Haus vorbei in die angrenzende Parkanlage. Wo kommen all die Familien her, die sich Zeit in einem Miteinander schenken? Ist nicht Ostern das Fest mit dem zentralen Thema Opfer; Osterlamm, Jesus am Kreuz? In diesen Wochen bereiten wir große Opfer im Angesicht eines getarnten Feindes, aber auch des Todes. Die Gleichheit vor dem Gesetz wird auf eine harte Probe gestellt, wenn einzelne Gruppen der Gesellschaft mehr oder weniger geschützt dem Virus gegenübertreten müssen. Und es kann mir vor allem das Herz zerreißen beim Anblick der Menschenmassen in den schwächeren Ländern der Welt. In Erwartung des Virus wissen sie sich sicherlich kaum durch ein ökonomisch und institutionell reiches System geschützt. In diesen Zeiten sind die Menschen freiwillig oder unfreiwillig dazu angehalten ihre persönliche Freiheit, ihre ökonomische Existenz oder sogar ihr Leben hinzugeben. Ein weltumspannendes Opfergeschehen ohne klaren Ausgang. Kein Lösungsweg führt leicht und ohne Schäden aus dieser Krise, der Ausgang ist ungewiss. In meinen Augen stellt diese Krise, so wie die Klimakrise eigentlich auch, die Sinnfrage der menschlichen Existenz. Diese Krisen sind überall gegenwärtig und betreffen jeden. Nur der Schutz im sozialen Raum ist verschieden verteilt auf der Welt. Obwohl der Begriff des Opfers seine Verwendung in unserer Sprache findet, so ist doch die Opferhandlung aus unserem Leben verschwunden. Die Kirchen vollführen mit dem Abendmahl nur noch eine symbolische Opferhandlung. In den 3000 Jahre alten Veden, den Überlieferungen einer Kultur im nördlichen Indien, wurden viele Hunderte von Seiten über die Rituale des Opfergeschehens gefüllt. Minutiös beschäftigte man sich mit der Frage, wie eine lebensbejahende Haltung einzunehmen ist gegenüber der Tatsache, dass die Menschen als Jäger und Hirten ihre Tiere schlachten und verzehren wollten. Durch für uns schwer verständliche rituelle Handlungen sollte es beiden Seiten ermöglicht werden, mit „heiler Haut“ das Dilemma zu durchstehen. In der heutigen Zeit sind wir als Gesellschaft fern von einem Prozess der Selbstreflexion. Unsere Lösung, zumindest in der sogenannten „zivilisierten“ Welt, besteht darin, das Elend dieses Dilemmas aus der Öffentlichkeit in die Hallen der Schlachthöfe und Zuchtbetriebe zu verdrängen, wo man den Geschäften im Verborgenen nachgeht, so wie der mittelalterliche Scharfrichter ohne Bürgerrechte vor den Mauern der Städte. Wenn ich die ayurvedische Ernährungslehre der Dhatus (Sanskrit: Gewebe) mit ihrem zyklische Verlauf von einem Körpergewebe zum nächsten zur Rate ziehe, dann kommen mir Begrifflichkeiten wie Kommunikation, Kontinuum und Grenze in den Sinn. Die Außenwelt tritt über Grenzflächen, Membranen oder Übergangsräume wie dem Verdauungstrakt oder dem Gefäßnetz für Blut oder Lymphe mit der jeweiligen Innenwelt in Kontakt. Dieser Kontakt gestaltet sich fließend, so würde ein Arzt der Anatomie bei dem Übergang eines Muskels (Mamsa Dhatu) in eine Sehne (Snayu) und weiter in einen Knochen (Asthi Dhatu) von einem Kontinuum sprechen. In allen Übergangsbereichen gestaltet sich der Prozess kommunikativ. Dort werden Differenzen in physikalischen Größen deutlich, zum Beispiel ein Gefälle an Druck oder Temperatur. Dort wird wie beim Staffellauf etwas materielles übergeben, zum Beispiel Gase oder Flüssigkeiten. Nach der „Fragestellung“ durch einen Virus gibt das Immunsystem eine Reizantwort nach dem so genannten Schlüssel-Schloss-Prinzip. Für mich stellt sich die Frage, was das Ergebnis sein mag für das beschriebene Kontinuum im Gewebekreislauf, wenn wir uns dieses Fleisch, im wahrsten Sinne des Wortes, einverleiben. Aber ich möchte den Rahmen dieses Dilemmas noch weiter fassen. Vielleicht gelingt mit dem friedfertigen Blick eines Kalbs oder Schafs ein Gefühl von Schuld oder Mitleid bei uns zu erzeugen. Aber was ist mit den Pflanzen? Erscheint nicht die vegane Ernährungsweise nicht als doppelmoralisch, wenn sie stolz verkündet, dieses Lebensmittel sei rein pflanzlich, so wie ein Fleischesser sagt, es sei doch nur ein Tier. Zur gleichen Zeit gewinnen Wissenschaftler immer häufiger öffentliches Gehör, die den Pflanzen beachtliche Modalitäten der Wahrnehmung und der Aktivität gegenüber der Außenwelt zubilligen und fordern, die Pflanzen in eine so genannte Naturethik mit einzuschließen. Unser industrieller Landbau ist vergleichbar entseelt, wie die industrielle Tierzucht. Kommunikative Prozesse, Kontinuitäten werden willentlich zerrissen. Pflanzenhybride, ihrer angestammten Fortpflanzungsfähigkeit beraubt, werden wie seelenlose Wesen in eine der Lebendigkeit beraubten Umwelt unter unverhältnismäßig großem ökonomischen Aufwand zum Wachsen gebracht, damit sie zu rein pflanzlichen Nahrungsmitteln verarbeitet werden können. Wieder stellt sich für mich die Frage, wie unsere Körpergewebe (Dhatus) in der Kommunikation mit derartigen Stoffen reagieren. Was macht dieser gesamtgesellschaftlich geduldete Raubbau, dieses Opfer des Lebendigen mit unseren Geweben, wenn wir es uns unreflektiert einverleiben? Überall wird von der jetzigen Weltkrise als Zäsur gesprochen, dass die Welt danach eine andere sein wird. Wir leben zur Zeit auf Distanz, die Eigenbewegungen sind minimiert auf den Nahbereich, die Kommunikation mit der Außenwelt erfordert Schutzmaßnahmen. Die Grenzflächen und -räume werden neu definiert. Alte Wege müssen neu und kreativ ausgestaltet werden. Die Welt ist erfasst von der ungeahnten Fähigkeit zu neuen Prozessen. Bleibt zu hoffen, dass diese Dynamik erhalten bleibt, und in vielerlei Richtungen zu lebensbejahenden Veränderungen führt. Bereits in den 2000er Jahren hatten namhafte Geisteswissenschaftler vorhergesagt, dass eine sinnvolle Reaktion auf die Klimakatastrophe grundlegende Veränderungen erfordere und den Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten. Beachtenswert finde ich in diesem Zusammenhang, dass die EU-Kommisionschefin Ursula von der Leyen in einem Interview mit der ZEIT vom 8. April diesen Jahres davon spricht, dass sie sich im Rahmen des Green Deal für einen Paradigmenwechsel stark machen wolle, hin zu einer Schonung der Ressourcen durch eine Kreislaufwirtschaft. Da schließt sich für mich wieder der Bogen hin zu dem Kreislauf der ayurvedischen Gewebeernährung, im technisch-wirtschaftlichen Sinne cradle to cradle genannt; entwickelt von dem deutsche Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough.
Raimond Hintze
(BUGY Beiratsmitglied), Ostern 2020

 


Nachruf auf Prof. Dr. Rocque Lobo (*04.03.1941 +09.09.2019)

Am 09. September 2019 ist Rocque Lobo, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Berufsverbandes Unabhängiger Gesundheitswissenschaftlicher Yoga-Lehrender BUGY, für uns völlig unerwartet im Alter von 78,5 Jahren verstorben.

 

Rocque Lobo (Professur für Gesundheitspädagogik von 1986-2006 an der FH München) ist Begründer des sog. Marma-Yoga®, welches die Aspekte von Schmerz und Gewalterfahrung im Kontext des Hatha-Yoga ausleuchtet. "Die Hatha-Yoga-Bewegung der damaligen Zeit (Mittelalter, d.A.) in Indien war alles andere als eine wohlstandsgestützte Freizeitbeschäftigung. Sie war die Anklage an die Gewalt und den Krieg - daher der Name Hatha (Gewalt) - die Auseinandersetzung mit den Gewalttätern jeder religiösen Herkunft, ob Hindu, Muslim oder sogar Christen. Die Demonstration extremer Zustände der Selbstauflösung, in welchen Yoga-Initianten sich an Haken auf hängten, durch Feuer gingen, mitten im Schnee meditierten, Tage lang in der heißen Sonnenglut ohne Wasser zu trinken ausharrten, fasteten und beteten, geschah nicht um der Pflege der Gesundheit willen, sondern im Sinne der Bespiegelung der Brutalitäten der Folter der Herrschenden in der wilden körperlichen Forderung der Menschenrechte, der Selbstachtung und der Achtung vor der Instanz des menschlichen Lebens..." (Yoga Elementarkurs Kreislauf; 2004; S. 95)

 

Ihm als verkörpertem multikulturellem und multidisziplinär geschultem gebürtigen Inder (geboren in Puna mit Wurzeln in Portugal, studiert in Mangalore, Pune, Eichstätt und München - gewirkt in München bis zu seinem Tod) wurde seine Deutung des Hatha-Yoga (eine Weiterentwicklung des Yoga nach B.K.S. Iyengar, bei dem Lobo als junger Mann Schüler war) häufig in Abrede gestellt zugunsten der Erfindung eines esoterisch-gymnastischen "Yoga des Westens", weichgespült im Sinne westlicher Kolonialisierung zu Gunsten eines seines Ursprungs entseelten Yoga ... bis ins Mark seines genuinen Anliegens entfremdet zum Zwecke der Anpassungsoptimierung moderner - mittlerweile digital-mobiler "Arbeitssklaven"(Yoga-Elementarkurs Kreislauf, 2004, S.98).
Rocque Lobo stellte den Hatha-Yoga entsprechend seiner Ideengeschichte in den Kontext moderner Gewaltstrukturen und vertrat radikal die Sichtweise der Yoga-Übungen als Testsituationen: „Die schlichte Devise beim Üben müsste heißen: `Teste` Deine eigene Selbstregulationsfähigkeit in einem bewegten System. Teste, ob Du noch wahrnimmst, wie Du weg von Deiner eigenen Mitte bewegt wirst und daher alles verzerrt und verworren siehst. Teste, ob Du aus der erlebten Beschleunigung die Rückberechnung zu Deinem inneren Gleichgewicht erstellen kannst oder, ob Du diese Überlast Deiner physiologischen Systeme solange auf dich nimmst, bis sie zusammenbrechen in den uns bekannten Zivilisationskrankheiten oder gar dem Sekundentod“. (Yoga-Elementarkurs ATMEN; 1998; S. 10).
Wir sind uns sicher, dass seine Sicht des Yoga einem Genius der Yoga-Berufung entsprang und er in seinem Leben bis zuletzt dem Ruf des tiefsten Wunschs seines Herzens (isvara) folgte.
Er wird uns als Mensch und Lehrer fehlen. Seine Texte und Fragestellungen bleiben lebendig und seiner Zeit weit voraus.

 

Michael Röslen
Vorstand im Berufsverband Unabhängiger Gesundheitswissenschaftlicher Yoga-Lehrender
14. Oktober 2019


Marma - Yoga eine Überlebensstrategie                                                          vor 2000 Jahren in Indien und heute

Nach einer Umfrage praktizieren rund 3,4 Mill. Menschen in Deutschland Yoga. Sie fühlen sich danach fitter und entspannter. Fühlt man sich nicht auch nach einer Gymnastik oder Sportstunde fitter und erholter ? Leider ist YOGA, das aus dem indischen Kulturkreis kommt, nicht geschützt, was dazu führt, dass dies jeder nutzen kann, ohne Qualitätsprüfung und Nachweis der Wirkung.

 

Was ist das Ziel des Yoga und wie kann Yoga dem modernen Menschen helfen, sein Gleichgewicht zu bewahren?

 

In Deutschland wird überwiegend Hatha-Yoga vermittelt. Auch hier gibt es zahlreiche Richtungen mit völlig unterschiedlichen Haltungen und Hintergründen. Bei manchen Richtungen wird auch das hinduistische Gedankengut mittransportiert. Selten wird es aber auf unsere Kultur und Lebensweise angepasst bzw. übersetzt. Daher stellt sich die Frage: „Wirkt Hatha-Yoga bei unserer Lebensweise noch?“

 

Damit ausführlich beschäftigt hat sich Prof. Rocque Lobo, der beide Welten kannte. Er hat Hatha-Yoga für den modernen, westlichen Menschen, der in einer beschleunigten Lebenswelt lebt, weiterentwickelt und „Marma-Yoga“® sowie „Shake-spear-Aktivierungs-training“® als Markenzeichen patentieren lassen. Diese Yoga-Richtung unterscheidet sich radikal von dem des Sports und der Psychologie.

 

Im Gegensatz zu den objektiven Wissenschaften, lernt der Mensch der Marma-Yoga® übt, sich zu beobachten. Es sind seine subjektiven Empfindungen bei der Feststellung des „Zustandes meiner Welt“. Er betrachtet das Einmalige, das wir darstellen, also unsere Person im Kontext unserer Umgebung. Ein Yoga Übender beobachtet, ob er bei einer Übung, aber auch im Alltag bei Begegnungen Schmerzen empfindet oder nicht, wobei "Schmerz" bereits als subtil wahrgenommene "Entfernung vom Gleichgewicht" sein kann. Es geht also nicht um neue Leistungsanforderungen wie z.B. ob die jeweilige Körperübung (ASANA) perfekt gemacht werden können, sondern was der Übende dabei empfindet. Es gilt dies zu reflektieren und in den eigenen Lebenskontext zu stellen. Yoga führt einen in die Rolle des „entspannten Beobachters, der sich innerhalb der Grenzen seiner Person umsieht. Dies ist für einen Menschen, der ständig mit Pflichten beladen ist und von dem eine hohe Leistungsbereitschaft verlangt wird, eine oft völlig neue Erfahrung. 

 

Leider suggerieren Menschen in perfekt gestylten Outfits und jugendlichem Aussehen, die sich perfekt verbiegen können, eher, dass sie gegen jede Art von Schmerzen gewappnet sind. An einem kleinen Beispiel möchte ich erläutern, wie „Marma-Yoga“® für einen Menschen im Arbeitsalltag anwendbar ist.

 

Stellen wir uns eine Frau 40 Jahre vor, alleinerziehend in einer Großstadt lebend, die ihren Lebensunterhalt als Bedienung in einer Gaststätte, verdient. Täglich hat sie folgende Anforderungen zu erfüllen: Freundlich zu den Gästen zu sein, viel Laufen mit einem Tablett in der Hand, evtl. auch bis spät am Abend um den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind zu verdienen. Möglicherweise plagt sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht genug Zeit und Kraft für die zugewandte und liebevolle Betreuung ihres Kindes hat. Aktuell kommen noch die existenziellen Sorgen durch die Schließung der Gaststätte durch die Corona-Epidemie dazu.

 

Sie spürt ihre Beine schmerzhaft. Konkret nachgefragt, macht sich die alltägliche Belastung an den Fußgelenken, an den Knien und in der Mitte der Wade als Schmerz bemerkbar. Dies sind „Marma-Punkte“, auch als Wach-und Warnposten bezeichnet. So geben Gelenk-Marmas Auskunft, ob die Drehfähigkeit mit der Stabilität in den Gelenken im Einklang steht, wo hingegen Muskel-Marmas (hier in der Mitte der Wade) den Zusammenhang verdeutlichen, ob die äußere Kraft von der innerer Stärke mitgetragen wird. Bei der Klientin zeigen die Schmerzpunkte ein deutliches Ungleichgewicht und Überlastung an. Gezielte Übungen (ASANAS) können testen, ob und in welcher Weise es zu einer Entlastung und Erholung kommt. Ist dies nicht der Fall, sollte mit der Klienten geklärt werden, wie ihre soziale Situation im Sinne salutogenetischer, d.h. gesundheitsfördernder Prinzipien: "Was tut mir gut?", "Wo bekomme ich Unterstützung?, Was ist für mich handhabbar, machbar und sinnstiftend?" geändert werden kann.

 

Was macht die Coronakrise mit den Menschen ? Da jeder Mensch anders reagiert, können die Marma-Punkte als Wach-und Warnposten, die Belastung des Individuums anzeigen, und zwar vom Körpererleben her. Gerade in diesen verunsichernden Zeiten, kann Marma-Yoga® Klarheit ins Denken und Handeln bringen, indem man die Beobachtung nach innen, in der Wahrnehmung der Körpermerkmale schult. Fragen, wie „Welche Marma-Punkte melden sich ?“, „Was tut mir gut?“, „Welchen Ausgleich brauche ich gerade jetzt ?“, „Welche Kraftquellen habe ich?“, „Welche Ressourcen und sozialen Beziehungen tragen mich ?“, „Kann ich die Angst beherrschen oder lass ich mich von ihr beherrschen?“, „Wie verarbeite ich die oft widersprüchlichen Informationen?“, „Wie kann ich mich mit der eigenen Endlichkeit anfreunden bzw. auseinandersetzen ?“, „Kann ich meine selbstregulativen Fähigkeiten vom Körper her stärken ?“ , „Was sagt mir mein Körper?“.

 

Es gibt junge Eltern, die es jetzt genießen mit ihren Kindern im Alter von 3-6 Jahren im Haus und Garten Zeit zu verbringen, statt den Alltagsstress mit der Mehrfachbelastung durch Leistungsdruck in der Arbeitswelt, sowie Kinderbetreuung und Hausarbeit bewältigen zu müssen. Sie spüren, dass die Coronakrise ihnen zeigt, dass eine Verlangsamung durchaus positive Seiten haben kann. Es gibt aber auch Familien, die in engen Wohnungen die Corona-Krise mit zwei schulpflichtigen Kindern und einem Kindergartenkind, Homeoffice und Beschulung bzw. Beschäftigung ihrer Kinder bewältigen müssen. Es dürfte klar sein, dass hier die Belastungsanforderungen, aber auch die jeweiligen Belastungsgrenzen unterschiedlichen verteilt sind. Auch die eigene Einstellung spielt eine Rolle. Wie groß ist mein Vertrauen in meine Fähigkeiten und wo finde ich Unterstützung in meiner nahen Umgebung? Wieviel Selbstwirksamkeit habe ich in meinem Leben erlebt? Marma-Yoga® kann auch Kinder und ihre Eltern unterstützen, den Alltag in Zeiten von Corona zu bewältigen und mit den Sorgen des Alltags fertig zu werden. Es kann auch aufzeigen, wo die eigenen Belastungsgrenzen sind und Unterstützung dringend nötig ist.

 

Hatha-Yoga und die Weiterentwicklung Marma-Yoga® sowie ihre konkrete Anwendung in der modernen Welt bedarf einer weit intensiveren Ausbildung, in der auch die Fähigkeit zur eigenen Reflexion sowie Beratung im Sinne der Salutogenese geschult wird. Dazu ist eine Grundausbildung im sozialen oder pädagogischen Bereich Voraussetzung, um alle Möglichkeiten die uns Yoga zur Gesundheitsförderung bietet, zu erkennen und anzuwenden.

 

Ausbildung und Yogakurse in dieser Form wird angeboten vom BUGY (Berufsverband unabhängiger, gesundheitswissenschaftlicher Yogalehrer) mit seinen regionalen Anlaufstellen und dem Förderverein von Yoga und Ayurveda mit seinen Zweigstellen. Beide sind von den Krankenkassen anerkannt. 

 

Birgit Erdle (BUGY Beiratsmitglied)
Praxis für Gesundheitsförderung
www.birgit-erdle.de